Online Coaching ist seit der Corona Pandemie keine Seltenheit mehr. Doch wie gehe ich als Berater*in in ein Online Coaching hinein? Auf was muss ich achten und welches sind die Fallstricke? Unsere Online Coaching-Expertin Annika Jans gibt Tipps und nützliche Hinweise in diesem Interview.
Meinst Du, es wird Online Coaching nach der Pandemie noch geben?
Es gab auch schon vor der Pandemie Online Coaching, nur zu einem kleineren Prozentsatz. Der Anteil an Online Coaching hat sich stark gesteigert im letzten Jahr. Dadurch, dass wir in der Pandemie alle gelernt haben, dass Kommunikation und Kooperation auch gut über digitale Medien funktionieren – natürlich gibt es Grenzen – gab es in der Unternehmenswelt einen starken Wandel hin zu mehr virtueller Zusammenarbeit, virtueller Kommunikation und virtueller Führung. Ich denke schon, dass viele Manager*innen und Führungskräfte, aber auch Mitarbeiter*innen erwarten, dass Coaching weiterhin online möglich sein sollte. Vielleicht wird der Online-Anteil an Coachings wieder zurückgehen, aber er wird nicht wieder so klein werden, wie er vor der Pandemie war.
Ausgelöst durch die Pandemie haben wir uns alle an die bequemen und guten Seiten der Online Kommunikation gewöhnt. Fahrtkosten und Zeitaufwand werden gespart. Die Hürde ist geringer, einfach die Monitore anzuschalten.
Es passt für viele besser in den Alltag und das merken wir als Berater*innen auch. Muss ich zum Beispiel für ein Coaching irgendwo hinfahren oder vorab einen Raum buchen? Ich habe die Fahrtzeit und die Kosten, ich habe das Coaching, danach fahre ich wieder nach Hause. Das ist sehr zeitintensiv. Online kann ich das Coaching im Grunde von überall mit guter Internetverbindung und einer gewissen Ausstattung machen. Das kann ich als Coach besser in meinen Alltag integrieren. Insofern vermute ich, dass nicht nur die Menschen, die sich coachen lassen, sondern auch die Coaches, die Vorteile für sich entdeckt haben und weiter Online Coachings anbieten. Das zeigen auch aktuelle Studien zum Beispiel vom Rauen Coaching Verlag, die ich gelesen habe.
Was sind Deiner Meinung nach die Unterschiede zwischen Präsenz und Online Coaching?
Es geht vor allem darum, wie ich den Kontakt gestalte. Darüber mussten wir uns im Präsenz Coaching kaum noch Gedanken machen. Wir haben als Coach jemanden bei uns empfangen, versucht, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, haben ganz automatisch Dinge wie Blickkontakt hergestellt, den Raum nett gestaltet, das ist alles selbstverständlich. Wenn ich in den virtuellen Raum gehe, muss ich das neu für mich definieren. Wir sehen nur einen Ausschnitt der Person und nicht mehr den ganzen Menschen – das erschwert die Wahrnehmung von Stimmung und Emotionen. Außerdem kennen wir das Setting unseres Gegenübers nicht. Ist er oder sie abgelenkt oder ist es eine ruhige Umgebung? Dazu gehört ebenso die Zeit vor und nach dem eigentlichen Coaching. In Präsenz haben diese Zeiten ihre Rituale: Zum Beispiel verabschiede ich mich nach dem Coaching und nehme noch einmal auf, wie es meinem Coachee geht. Beim Online Coaching drückt mein Gegenüber auf den Button und ist weg. Ich als Online Coach muss versuchen, mir ein Bild zu machen, indem ich Fragen dazu stelle. Wo befinden Sie sich gerade? Können Sie sich gut konzentrieren? Ist genug Ruhe da? Es bedarf ein paar Vereinbarungen, die das Setting betreffen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich diese Vorbereitungen sehr lohnen. Ich hatte zum Beispiel eine Coachee, bei der ich das Gefühl hatte, dass sie immer sehr abgelenkt war. Irgendwann habe ich wahrgenommen, dass sie parallel ihr Email-Postfach geöffnet hatte. Wir haben besprochen, dass sie während des Coachings keine weiteren Programme öffnet, weil dadurch unser Kontakt immer wieder gestört wird. In einem Präsenz Coaching würde kaum jemand auf die Idee kommen, parallel den Laptop aufzuklappen und seine Emails zu bearbeiten.
Bist Du der Meinung, dass man im Online Coaching all die Themen bearbeiten kann, die man auch im Präsenz Coaching bearbeiten könnte? Eignet sich eine Form mehr für das eine oder mehr für das andere?
Ich hatte bisher keine Situation im virtuellen Raum, in der ich das Gefühl hatte, wäre dies nun ein Präsenz Coaching, dann könnten wir das Thema sehr viel besser bearbeiten. Man kann methodisch viel ersetzen und mit Online Tools durchführen. Es hängt vom Individuum ab. Wie offen ist mein Gegenüber? Wie sehr beeinträchtigt ihn oder sie die Technik? Es gibt Belege dafür, dass es online eine höhere Selbstoffenbarungsbereitschaft gibt. Durch die gewisse Distanz am Monitor und dadurch, dass man in einem für sich vertrauten Setting ist. Manchen Menschen fällt es in einem Online Coaching leichter, schwierige Themen anzusprechen. Gleichzeitig fehlt anderen Menschen durch eben diese Distanz auch etwas. Manche Coachees brauchen das Persönliche, diese Schwingungen im Raum miteinander und diesen Kontakt und fühlen sich damit wohler.
Es spricht auch gar nichts dagegen, zwischen Präsenz und Online Coaching zu wechseln. Ich finde es schön, die Leute auch persönlich zu treffen. Gerade für ein Erstgespräch bietet sich das an. Aber ich habe ebenso viele Kund*innen, mit denen das Coaching komplett online läuft. Sprechen wir über Team Coachings und Teamentwicklung, gibt es für mich persönlich Grenzen. Ich finde es zum Beispiel schwierig, sehr konfliktbehaftete Themen im Online Coaching zu besprechen, bei denen ich den Raum spüren möchte und die Schwingungen, die zwischen den Teilnehmenden hin- und hergehen. Das erlebe ich durch die Distanz im Online Coaching als Herausforderung.
Wir haben gerade darüber gesprochen, wie Du mit den Besonderheiten des Online Coachings umgehst. Du sprachst von Vorbereitung des Settings, Absprachen mit dem Coachee, sich bewusst sein, dass es eine andere Art der Kommunikation ist.
Es gehört zur Medienkompetenz zu schauen, was ich brauche, um ein professionelles Online Coaching durchzuführen. Muss ich in gute Beleuchtung oder in eine Kamera investieren? Was kann ich an Methodik vorbereiten? Könnte heute das Whiteboard im Zoom zum Einsatz kommen? Dann habe ich das im Hintergrund schon offen. Ich kann mich in Tools einarbeiten wie Miro oder Mural. Der Vorteil eines solchen Tools ist, dass man etwas vorbereiten kann, der andere kann zwischen den Sitzungen weiterarbeiten und man kann wieder gemeinsam draufschauen. Das sind Möglichkeiten, die ich nicht habe, wenn ich in Präsenz auf einem Flipchart schreibe. Natürlich erfordern diese Tools eine Beschäftigung und Übung. Ich sollte mich als Coach mit den zur Verfügung stehenden Tools auseinandersetzen, damit ich sehe, welche Optionen es gibt und was ich persönlich sinnvoll finde. Womit fühle ich mich wohl, womit will ich arbeiten.
Wie reagieren Coachees auf die digitalen Tools?
Das hängt von der Erfahrung und der Kompetenz des Gegenübers ab. Die meisten Coachees, die ich erlebe, sind sehr offen und finden die Tools erst einmal gut. Natürlich gibt es ebenso Menschen, die sich nicht extra in ein neues Tool einarbeiten wollen. In meinem Alltag ist die Mehrheit bereit, sich auf das Digitale einzulassen. Sie sehen die Vorteile in Bezug auf die Zeitersparnis und auf eine gewisse Flexibilität. Ich kann mir als Coachee einen Coach suchen, der nicht am gleichen Ort sein muss wie ich. Also ich bin viel flexibler. Das ist besonders interessant für Menschen, die im ländlichen Raum leben oder auch im Ausland. Hier gibt es den Vorteil, ein Coaching in der Muttersprache wahrnehmen zu können, auch wenn man sich gerade auf einem anderen Kontinent befindet.
In unser Coaching Ausbildung findet sich ebenfalls ein Part über Online Coaching, den du übernimmst.
Wir haben Online Coaching als Methode in unsere Ausbildung integriert. Ich habe zu diesem Thema ein Kapitel in unserem Lehrbuch “Systemisches Coaching: Haltung – Methodik – Rollenklarheit” verfasst und biete als Dozentin einen Themenabend während der Coaching-Ausbildung an. Natürlich online, denn es geht darum, dass unsere Teilnehmenden sich ausprobieren und Feedback bekommen. So lassen sich noch gewisse Stolpersteine oder Unsicherheiten identifizieren. Ich finde es in diesem Zusammenhang gut, wenn die Teilnehmenden ihre eigene Haltung überprüfen. Habe ich Vorurteile und kann ich sie ausräumen? Wie wirke ich eigentlich? Hattest Du das Gefühl, dass ich Dir aufmerksam zugehört habe? Kam das über den Bildschirm rüber? Natürlich haben unsere Teilnehmenden im beruflichen Setting viele Online Meetings und andere Online Formate. Aber es ist etwas anderes, ob ich an einem Meeting teilnehme oder ob ich ein Coaching durchführe.
In der Ausbildung lernen unsere Teilnehmenden verschiedene Möglichkeiten, Methoden und Tools kennen und können sich entscheiden, welche sie nutzen möchten. Selten hat man die Möglichkeit, sich in so einem geschützten Rahmen, in dem alle mehr oder weniger das gleiche Interesse haben, zu erproben. Auch wenn es eher ein Nebenschauplatz ist, aber die „Hardware“ wie Licht und Ton sind wichtig. Im Online Meeting denkt man manchmal augenrollend „Oh, da hätte mein Gegenüber aber auch mal eben die Kamera woanders hinstellen können.“ Aber im Meeting spielt das inhaltlich nicht so eine große Rolle. Im Coaching hingegen, gerade wenn man dort als Coach professionell auftreten möchte, kann eine unvorteilhafte Kamera oder ein schlechtes Licht ein Störfaktor für ein gutes Gespräch sein. Da ist es eine schöne Möglichkeit, sich während der Coaching-Ausbildung mit seinen anderen Teilnehmenden auszuprobieren, Tipps und Tricks auszutauschen und einfach einen sicheren Stand zu bekommen.